Krankheit

Die Diagnose, die nach der Muskelbiobsie gestellt wurde, war natürlich total niederschmetternd.

Konginitale Myopathie –Was bedeutet das? Wie wird es weitergehen?

Leider alles Fragen, auf die uns nur vage Erfahrungsberichte mit auf den Weg gegeben wurden. Yanniks Muskelerkrankung war zudem auch nicht genau zu bestimmen, da es unzählige Untergruppen dieser Myopathien gibt.                                          Was diese Muskelerkrankung für Yannik und auch für uns bedeutete, möchte ich in ein paar Zeilen beschreiben. Ich schreibe jetzt keine Fachausdrücke, sondern erzähle einfach, wie ein Leben mit dieser Behinderung ist …

Ein Spruch, der sich bei mir eingeprägt hat, als wir die Diagnose erfahren haben, lautete:

Stell dir vor, du möchtest dir die Haare kämmen und der Kamm erscheint dir so schwer wie ein Vorschlaghammer.

Als Yannik noch ein kleiner Knirps war, fielen die Einschränkungen eigentlich kaum auf. Er krabbelte zwar nicht „normal“, weil er die Kraft in den Armen nicht hatte, um sich abzustützen, dafür hat er aber einen anderen „Krabbelstil“ entwickelt. Unser Yannik konnte nie richtig laufen, d.h., er suchte eigentlich ständig die „haltende Hand“ oder Gegenstände, an denen er beim Gehen Halt fand. Als kleiner Knirps ging es noch ganz gut, wobei er immer Angst hatte angerempelt zu werden und sich so meist von grossen Ansammlungen der Kids fernhielt. Lange Strecken, das bedeutete für Yannik höchstens 50 Meter, wobei diese Strecke mit zunehmendem Alter und Gewicht rapide abgenommen hat. Zuletzt schaffte er es gerade noch von seinem Bett an den Schreibtisch. Yannik konnte leider nie vom Fussboden aufstehen, ohne sich irgendwo „hochzuziehen“. Wenn ich an diese Augenblicke denke, tut es mir noch immer sehr, sehr weh, wie er sich dabei gequält hat. Aber er hat es geschafft und ein strahlendes Grinsen folgte ... Treppensteigen konnte unser Schatz auch nicht, obwohl er die Herausforderung der Stufen im frühen Kindesalter noch angenommen hat und die Stufen hinauf gekrabbelt ist. Wir haben uns ziemlich schnell auf die Situation eingestellt und Yanniks Spielbereich vom Fussboden auf den Tisch verlagert. Um Spielflächen zu vergrössern, wurde nicht selten das Bügelbrett hinzugezogen oder gar der grosse Wohnzimmertisch belagert. Yannik brauchte immer Hilfe beim An- und Ausziehen, er brauchte Hilfe beim Toilettengang und ständig jemanden, der ihm beispielsweise seine Spielkisten aus dem Regal holen konnte, ihm ein Apfel zubereitete, oder, oder ...

Wir haben das ALLES als selbstverständlich hingenommen und es gerne getan für unseren Schatz – es gehörte dazu, es war keine Aufgabe, es war unser gemeinsames Leben….

Verabredungen mit Freunden fanden meist bei uns statt, da Yannik in einer für ihn sicheren Umgebung war -  oder aber bei guten Freunden, wo er wusste, dass die Mamas und Papas dort wussten, wie ihm geholfen werden kann. Es war eine Vertrauenssache, und diejenigen, die für unseren Schatz da waren, möchten wir auf diesem Wege ganz doll drücken und ihnen DANKE sagen … es bedeutete für uns auch mal ein paar „freie“ Stunden …

Leider nahmen die körperlichen Einschränkungen ab dem 4. Lebensjahr immer mehr zu …tägliche Krankengymnastik, diverse Arzttermine, Hilfsmittelversorgungen, etc. gehörten zum Alltag … und NIE hat Yannik geklagt. Die Feinmotorik in den Händen war glücklicher Weise bis zum Schluss noch sehr gut erhalten, sodass Junior weiterhin seinen „Hobbys im Sitzen“ nachgehen konnte, obwohl auch die Legosteine und Playmosachen oft zu schwer zum Zusammenbauen waren, da ihm einfach die Kraft fehlte, diese zusammen zu drücken.

Dadurch, dass Yannik beim Laufen seine Füsse nicht mehr richtig anheben konnte, weil ihm einfach die Kraft dazu fehlte, stürzte er häufig und mit ungefähr 7 ½ Jahren konnte Yannik nur noch mit unserer Unterstützung ein paar Schritte laufen. Der Rolli übernahm nun fast vollständig seine Beinfunktion. Durch das viele Sitzen kam es zu Verkürzungen der Hüftstrecker und auch die Spitzfussstellungen nahmen zu. Seine Arme konnte Yannik zuletzt auch nicht mehr strecken und im Schulter- und Nackenbereich waren starke Defizite in der Bewegung aufgetreten. Einmal kurz am Kopf kratzen, das bedeutete für Yannik eine grosse Anstrengung – nur mit Unterstützung des anderen Armes und sehr viel Schwung gelang es unserem Schatz, sich am Kopf zu jucken … wie oft fährst du dir durchs Haar ohne darüber nachzudenken??? Wollte Yannik ins Bett oder auf die Couch, brauchte er Hilfe beim Umsetzen, da er nicht mehr aufstehen konnte. Wir haben, jeder für sich, Techniken entwickelt und so hat alles bestens geklappt. Klar, der starke Papa hat natürlich mehr Kraft als die Mama, aber auch Mama hat alles bis zum Schluss mit Yannik geschafft.

Zuletzt hat die Skoliiose, die im letzten ½ Jahr so stark zugenommen hat, Yannik Probleme bereitet, sodass wir dieser OP zugestimmt haben. Durch die fehlende Muskulatur konnte sich Yannik nicht mehr aufrecht im Sitzen halten und beugte sich daher nach vorne. An seinem neuen Rollstuhl, für den wir natürlich auch wieder mit den Krankenkassen in einen Kampf getreten sind, hatte Yannik einen Tisch, auf den er sich stützen konnte und dadurch etwas mehr Halt gefunden hat.

Wir sind so dankbar, dass unser Engel bei all den Einschränkungen keine Schmerzen empfunden hat und es ihm immer „gut“ ging.

Yannik hat sein Schicksal, nie richtig laufen und toben zu können, ergeben angenommen. Wir hörten nie ein Klagen aus seinem Mund, obwohl wir oft seine Sehnsucht im Blick entdeckt haben, wenn er z.B. bei seinem Cousin ein Fussballspiel angeschaut hat. Gerade deshalb haben wir ihm viele „unmögliche“ Dinge ermöglicht … der Strand ist ja quasi vor unserer Haustür und mit Hilfe starker Männerarme (Danke Frank) wurde Yannik kurzerhand zum  und ins Wasser getragen – im Urlaub auf Sylt gab es den absoluten Kracher für unseren Sonnenschein – einen Strandrolli. So konnten auch “wir“ lange Spaziergänge am Strand machen – wir sagen dem Landesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte in Kronshagen DANKE für die Möglichkeit, dort Urlaub zu machen.

Urlaub im Haus Liselotte war für Yannik das Schönste!!!

Wir passten unser Wohnumfeld auf Yanniks Bedürfnisse an und so klappte alles wunderbar. Yannik bekam Anfang des Jahres seinen neuen Rolli, mit dem er den Sitz „hochfahren“, die Sitzfläche verstellen und sich sogar hinlegen konnte. Zudem war der Rolli natürlich mit Licht, Blinklicht, Hupe und ordentlich „PS“ ausgestattet. Erst in diesem Frühjahr haben wir unser – nein Yanniks - Auto bekommen, in das er mitsamt Rolli hineinfahren konnte – er war so stolz auf „sein“ Auto … fast zeitgleich haben wir einen Treppenlift einbauen lassen, damit er in sein Spielzimmer und das geplante Bad in den Keller gelangen konnte. Wir waren gerade in den Startlöchern, ein grösseres, behindertengerechtes Badezimmer im Keller einbauen zu lassen … das Jahr fing so viel versprechend an … und nun???

Alles zerstört – Yanniks Zukunft – unsere Zukunft – unser Leben …

Wir haben immer versucht, Yannik seine Wünsche zu ermöglichen, und wir glauben, uns ist es ganz gut gelungen. Wir haben unser gemeinsames Leben sehr „intensiv“ zusammen gelebt – WARUM? Weil wir wahrscheinlich geahnt haben, dass unser Engel nicht sehr lange bei uns bleiben kann …

Mit so einer Krankheit zu leben, bedeutete natürlich oft eine Einschränkung, über die viele Leute sich keine Gedanken machen müssen. Gedanken wie:

Ist alles rollstuhlgerecht, wenn wir in Urlaub fahren wollen?

Gibt es bei dem Restaurant einen Fahrstuhl?

Ist es ein absenkbarer Bus, damit Yannik hineinfahren kann?

In Urlaub fliegen – was ist, wenn der Rolli kaputtgeht?

Viele, viele Gegebenheiten sind leider nicht rollstuhlgerecht…

Wir haben durch Yanniks Behinderung  viel gelernt – wir sehen unsere Umgebung seit langem mit ganz anderen Augen …

und wir vermissen es unendlich, uns weiterhin darüber Gedanken machen zu müssen …

 

Yannik, du fehlst uns so sehr ….. wir brauchen dich doch.

 

Keiner kann uns die Zeit,

die uns gestohlen wurde,

wiederbringen –

keiner kann uns den Schmerz nehmen,

den wir empfinden -

aber es kann uns auch keiner die Liebe nehmen,

die wir für dich empfinden.